Mächtig und erhaben liegt er vor mir, der Vatnajökull - Islands größter Gletscher und zugleich der größte Gletscher Europas. Tief blau leuchtet sein Gletschereis und an vielen Stellen ist es durchzogen von schwarzer Asche vergangener Vulkaneruptionen. Übersetzt heißt Vatnajökull so viel wie "Wassergletscher". Wer an den Ausläufern dieses Naturkunstwerks steht, dem erschließt sich seine Bedeutung relativ schnell anhand von unzähligen Bächen die dem Eis entspringen, sowie zahlreichen Gletscherspalten die mit kristallklarem Wasser gefüllt sind. In der Zeit der Schneeschmelze läuft ein beständiger Wasserstrom dem Eispanzer herunter. Weich wird das alte Eis vom Wasser umschlängelt, beständig und unaufhaltsam von ihm zerfressen. Somit bilden sich Kanäle, unterirdische Gänge und Rinnen die durch Verschiebungen der Eismassen einbrechen oder aufgeworfen werden - der Gletscher wird permanent neu geformt und erhällt immer wieder ein anderes Gesicht. Das Wasser sucht sich den Weg des geringesten Widerstandes und bohrt sich zum Teil metertief in das Gletscherinnere. Man hört es beständig glucksen und gurgeln, hier plätschert es leise und dort rauscht es in einer Spalte. So bildet es kleine Rinsale und Flüsschen direkt unterhalb der obersten Eisschicht oder ganze Seen und Wasserströme im Inneren. Aus diesem Grund ist der Gletscher einer ständigen Veränderung unterzogen, die es nicht ungefährlich macht sich auf diesem Eismoloch zu bewegen. Wo heute noch eine sichere Eisplatte liegt, steht man bald schon auf dünnem Eis. Um hier sicher voran zu kommen, bedarf es passender Ausrüstung und Erfahrung im Durchwandern eines solchen Territoriums. Der wichtigste Begleiter ist neben den sichernden Kameraden und den Steigeisen der Eispickel, der in dieser Welt aus Eis zu einem wichtigen Allroundwerkzeug wird. Insgesamt sind ca. 11% von Island mit Gletschern bedeckt. Egal ob man entlang der Ringstraße unterwegs ist oder sich auf eine der beiden Hochlandpisten begibt - an einem der Gletscher (isländisch: "jökull") wird man immer vorbei kommen. Das Landschaftsbild ist wesentlich durch die Gletscher geprägt. Sei es direkt durch riesige Eisfelder, welche man in den flachen Tal- und Küstenebenen bereits aus Kilometer weiter Entfernung im Licht strahlen sieht, den Wassermassen die durch die Gletscher in der Schneeschmelze frei gesetzt werden und weite Landstriche unter Wasser setzten können oder Folgeerscheinungen wie den Sandern, Schwemmgebiete die vor allem durch die Gletscher und deren Flüsse mit Sedimenten gefüllt werden. Ein besonderes Naturschauspiel ist die Eruption von unter den Gletschern gelegenen Vulkanen. Als 1996 der Vulkan Grimsvötn ausbrach, wurden schlagartig gewaltige Eis- und Wassermassen unter dem Gletscher frei die sich gen Meer walzten. Fast alle auf dem Weg befindlichen Brücken und weite Teile der Ringstrasse wurden völlig zerstört. Am meisten Berühmtheit in der Welt außerhalb Islands hat jedoch der Eyjafjallajökull erlangt. Nicht nur wegen seines schwer auszusprechenden Namen, an dem sich sogar die Tagesschausprecher die Zunge ausbissen, sondern vor allem wegen der Eruption des gleichnamigen Vulkans, dessen Aschewolke den europäischen Flugverkehr 2010 lahm legte. Zusammen mit dem Myrdalsjökull und dem zentralen Hochland bildet er eine Wetterscheide. Im Süden existieren, durch einen Ausläufer des Golfstroms bedingt, wärmere ozeanische Luftströmungen, während im Norden kältere und trockenere polare Luftmassen vorherrschen. An den Südhängen treten daher sehr starke Niederschläge auf. Weitere große Gletscher sind der Langjökull im mittleren Westen 100 km von Reykjavik gelegen, der zentral gelegene Hofsjökull sowie der nördliche Drangajökull. Der Öraefajökull bildet als südlichster Gletscher auf dem Kegelvulkan am Rande des Vatnajökull die Ostgrenze des Skeitharasandur. Fotografisch zieht die landschaftliche Szenerie der Gletscher schnell in ihren Bann und man findet nach jeder Kurve und hinter jedem Eisberg neue Formen und Skulpturen die Eis und Wasser geformt haben oder wird schier überwältigt von der weiten Eiswüste mit ihren teils tief blauen Farben. Die blaue Farbe des Gletschereises wird fälschlicherweiße oft durch die Rayleigh-Streuung erklärt. Sie ist jedoch eine Folge der Absorption der roten Wellenlängenbereiche des Lichtspektrums infolge von Schwingungsabsorptionen (ganz genau handelt es sich um Obertöne der O-H Streckschwingung die im Eis durch Wasserstoffbrückenbindungen zu größeren Wellenlängen verschoben sind). Da das Gletschereis durch die Schneelast stark komprimiert wurde, hat es homogene Kristalle, frei von Lufteinschlüssen gebildet, so dass einfallendes Licht den Eiskristall tief durchstrahlen kann ohne an der Oberfläche bereits gestreut zu werden. Somit ist der Ursprung der blauen Farbe kein anderer wie bei der blauen Farbe des Wassers auch. Einzigartig in der Natur ist die Tatsache, dass es sich hierbei um ein Farbphänomen handelt, dass durch Schwingungsanregung der Wassermoleküle verursacht wird und nicht durch elektronische Anregungen. Mit dem Hintergrundwissen ein einzigartiges Naturphänomen zu sehen, kann man beim Betrachten der blauen Pracht noch ehrfürchtiger in der gefrorenen Zauberwelt stehen. Wie lange dies noch auf Island möglich ist, das weiß wohl kein Forscher so ganz genau. Bekannt ist, dass die Klimaerwärmung der letzten Jahre die isländischen Gletscher ziemlich schnell abschmelzen lässt. Laut dem Geologen Erik Sturkell haben die Gletscher Islands seit 1890 bis 2011 bereits über 300 km³ an Eis verloren und dem Gletscherrückgang kann man Jahr für Jahr sehr deutlich sehen. Um die Veränderung auch mit konkreten Daten zu erfassen werden die Gletscher von den Mitgliedern der isländischen Gletschergesellschaft u.a. mittels GPS-Technologie überwacht und Wetterdaten aufgezeichnet. Wer auf den Gletschern Islands unterwegs war, der sieht sehr deutlich was Klimawandel bedeutet und wie empfindlich und zerbrechlich die größten Schätze unseres Planeten sind. Die vergängliche Schönheit des blauen Eises verlasse ich nachdenklich und tief berührt.
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